Samstag, 4. Juli 2015

Loch an Loch, und hält doch!



Als ich sieben Jahre alt war, brachte mir mein Vater aus Dresden, wohin er regelmäßig wegen seines Fernstudiums fuhr, einen sandfarbenen Cordanzug mit. Ein wunderschönes Stück, wirklich etwas Besonderes für damals, als alles knapp war. Ich habe den auch lange getragen, aber irgendwann war die Jacke zu klein und die Hose wurde zu kurz. Da aber das Breitenwachstum noch nicht so massiv eingesetzt hatte, konnte man die Hose verlängern. Das war damals „in“, so um 1974 herum. Man verlängerte nicht verschämt, mit farblich möglichst passendem Stoff, sondern auffällig – mit Blümchenstoff oder in einer Kontrastfarbe. Im Fall meiner sandfarbenen Cordhose nähte meine Mutti rotes Kunstleder an, mindestens 10cm.
Später wurde es uncool, geflickte, ausgebesserte, angesetzte oder mit eingenähten Keilen geweitete Klamotten zu tragen. Warum eigentlich? Noch 25 Jahre zuvor war es Usus gewesen, aus Vatis Uniformmantel zwei Kindermäntel zu nähen, aus einem abgestürzten Fallschirm ein schickes Kleid, aus alten Röcken wenigstens noch eine Vorbindeschürze und so fort. Alte Stricksachen wurden wieder aufgetrennt, die Wolle sorgsam zu neuen Knäueln gewickelt und erneut verstrickt. Und das Nähen von Decken oder Wandteppichen aus Stoffresten war schon vor 2000 Jahren beliebt. Und plötzlich schämte man sich für ausgebesserte Kleidung?
Inzwischen sind viele Jahre vergangen, und es ist so, wie meine Oma immer gesagt hat: Es kommt alles wieder! Immer öfter sehe ich zugenähte Löchlein in T-Shirts, geflickte Hosen, genähte Dreiangel. Warum auch nicht, warum soll man eine ganze Hose wegwerfen, wenn sie nur ein kleines Loch hat oder wenn sie vom Radfahren ein bißchen dünn geworden ist? Also bringen wir unsere Sachen zum Flicken. Jaaa, gut, ich könnte das auch selbst, das haben ja die Frauen früher auch gemacht, aber erstens habe ich dafür keine Zeit, zweitens keine Lust und drittens gibt es ja die Zuverdienst-Werkstatt der Aktion Wandlungswelten, wo geschickte Hände nähen und flicken.
Neulich haben wir wieder eine Tüte voller Hosen dort abgegeben, die entweder am Saum ausgefranst oder irgendwo durchgescheuert waren. Eine brachte unser Sohn vorher zu uns, sie hatte Löcher. Auf der Tasche und am Oberschenkel und am Knie. Unsere Tochter schaute sich die Hose an. „Das ist doch nicht Deine!“ „Doch. Wessen sonst?“ „Nee, die paßt Dir niemals!“ Das Geschwistergeplänkel zog sich, aber schließlich wurde die Hose mit abgegeben. Vorgestern holten wir sie wieder ab. Erneut betrachtete unsere Tochter das gute Stück nachdenklich: Die Löcher waren fein säuberlich mit farblich passendem Jeansstoff unterlegt und durchgesteppt, es sah wirklich gut aus. Perfekt. Das war wirklich höchste Flickkunst! „Nee“, schüttelte sie den Kopf, „die paßt dem niemals!“ Plötzlich stutzte sie, schaute sich die Hose nochmal an, den Bundknopf, den Reißverschluß, die Taschen…. “Das ist doch eine Frauenjeans!“ Es folgte der Griff zum Telefon: „Du sag mal, erinnerst Du Dich an die Jeans, die wir für Dich zum Flicken gegeben haben? Kann es sein, daß die Hose von Deiner Freundin ist?“ Es folgte eine lange Stille. „Na ja, das würde zumindest erklären, warum die seit zwei Wochen ihre Jeans sucht!“
Danach ging zwei Stunden nichts mehr. Wir kugelten uns vor Lachen bei der Vorstellung, wie sich die Näherinnen vermutlich gefragt haben, wie man sich seine Hosen an diesen Stellen zerreißen kann! Und wie wird erst die Freundin dreinschauen, wenn sie ihre Jeans zufällig unter irgendeinem Wäschestapel wiederfindet und alle Edellöcher gestopft sind?